Merkels Besuch in Moldawien
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am vergangenen Mittwoch Moldawien besucht und dem völlig verarmten Land einen möglichen Beitritt zur EU in Aussicht gestellt. Laut der moldawischen Zeitung Tribuna erfolgte das Treffen auf ausdrücklichen Wunsch Merkels. Sie ist die erste deutsche Regierungschefin, die das zwischen Rumänien und der Ukraine gelegene Land offiziell besucht, das bis 1991 zur Sowjetunion gehörte.
Merkel sagte, sie unterstütze die Annäherung des Landes mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern an die Europäische Union, und verwies darauf, dass die Staatsführung umfangreiche Reformen in Angriff genommen und sich pro-westlich ausgerichtet habe. Der Annäherungsprozess müsse „Schritt für Schritt“ erfolgen. Zunächst gehe es um ein Assoziierungs- und ein Freihandelsabkommen sowie um Visa-Erleichterungen.
Moldawien ist neben Weißrussland, Armenien, der Ukraine, Aserbaidschan und Georgien Teil der so genannten „Östlichen Partnerschaft“, die die EU im Jahr 2009 ins Leben gerufen hatte, um den Einfluss Russlands in diesen Staaten zurück zu drängen und ihren eigenen Einfluss zu stärken. In den vergangenen Jahren haben allerdings Weißrussland und die Ukraine ihre Bindung zu Moskau wieder verstärkt.
Merkel sagte Ministerpräsident Vlad Filat und Präsident Nicolae Timofti am Mittwoch in der Hauptstadt Chisinau, die „Östliche Partnerschaft” sei mit dem Ziel gegründet worden, „dass wir die europäische Perspektive sehr wohl sehen“.
Sie mahnte auch Fortschritte zu Beilegung des Transnistrien-Konflikts an, was als Voraussetzung für eine Aufnahme in die EU gilt. Das Gebiet mit 555.000 Einwohnern hatte sich 1992 von der Republik Moldau abgespalten und wird von Moskau unterstützt. Seit 2011 finden darüber wieder internationale Verhandlungen statt, an denen die Republik Moldau, Transnistrien, Russland, die Ukraine und die OSZE beteiligt sind.
Bislang hatten westliche Regierungsvertreter es meist vermieden, derart offen für eine stärkere Integration Moldawiens in die Europäische Union einzutreten. Zum einen ist das Land politisch und sozial höchst instabil, und zum anderen stellt sich Merkel damit eindeutig gegen die Interessen Russlands, die beinahe zwanzig Jahre die politische Ausrichtung Moldawiens bestimmt haben.
Die Republik Moldau ist eines der ärmsten Länder Europas. Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt bei 180 Euro. Rund 60 Prozent der arbeitsfähigen Einwohner arbeiten im Ausland. Die reale Arbeitslosigkeit liegt Schätzungen zufolge bei mindestens 30 Prozent. Infolge der internationalen Finanzkrise hat sich die Situation seit 2008 weiter verschärft. Die Preise für Lebensmittel, Öl und Gas sind teilweise um 25 Prozent gestiegen.
Unter diesen Umständen ist Merkels „europäische Perspektive“ in höchstem Maße zynisch. Die Europäische Union selbst steckt in einer tiefen Krise und der Charakter der Gemeinschaft tritt immer offener zu Tage. Die brutalen Spardiktate, die Brüssel gegen Griechenland und andere EU-Staaten verhängt, stürzen die Bevölkerungen in tiefe Armut. Im benachbarten Rumänien, das 2007 der EU beitrat, sind die Gehälter im Öffentlichen Dienst auf Druck Brüssels um bis zu 25 Prozent gekürzt worden. Die sozialen Sicherungssysteme sind fast vollständig ausgehebelt worden.
Die politischen Verhältnisse in Moldawien werden von erbitterten Konflikten um Einfluss, Macht und Geld zwischen verschiedenen politischen Cliquen beherrscht. Seit dem Jahr 2000 wurden neun Präsidentschaftswahlen abgehalten. Drei Jahre lang war das Land ohne Präsident, da im Parlament ein Patt zwischen rechten Kräften und der lange Zeit dominierenden Kommunistischen Partei herrschte.
Die regierende Koalition für Europäische Integration um Ministerpräsident Filat geniesst kaum Unterstützung in der Bevölkerung. Während die Korruption weiterhin allgegenwärtig ist, treibt die Regierung die Privatisierung öffentlicher Betriebe massiv voran.
Mit ihrem Eintreten für eine EU-Mitgliedschaft Moldawiens schürt Merkel die Konflikte in der Region und zündelt an einem Pulverfass, das jederzeit explodieren kann.
Bereits im Vorfeld des Besuches hatten sich moldawische Nationalisten in einem Brief mit der Bitte an Merkel gewandt, einen Zusammenschluss der Republik Moldau mit Rumänien zu unterstützen. Daraufhin forderten russische und ukrainische Verbände in Moldawien und Transnistrien den russischen Präsidenten Putin auf, sich eindeutig gegen einen Anschluss Transnistriens an Moldawien auszusprechen.
Der schlummernde Konflikt zwischen Moldawien und Transnistrien geht auf den Zerfall der stalinistischen Regime in Osteuropa und der Sowjetunion zurück. 1989 formierte sich die so genannte Volksfront, eine von rechtsextremen Organisationen durchdrungene Sammelbewegung, die die Loslösung Moldawiens von der Sowjetunion anstrebte. Mit dem Versprechen von Freiheit und Wohlstand, verbunden mit anti-russischem Chauvinismus gelang es der Volksfront im August 1989, eine halbe Millionen Menschen in Chisinau zu versammeln.
Dagegen setzten sich vor allem die Industriearbeiter im Osten Moldawiens zur Wehr. Nach Generalstreiks im Sommer 1989 sprach sich eine übergroße Mehrheit bei Volksabstimmungen in Rybnica und der späteren Hauptstadt Tiraspol für eine unabhängige „Sowjetrepublik Transnistrien“ aus. Im Sommer 1990 erklärte auch die moldawische Führung in Chisinau die Unabhängigkeit von der Sowjetunion, erkannte aber Transnistrien nicht an.
Bis zum Frühjahr 1992 wuchs sich der Konflikt zu einem regelrechten Krieg aus, bei dem über 1.000 Menschen ihr Leben verloren. Mit Hilfe der russischen Armee, die in Tiraspol stationiert ist, verteidigte sich Transnistrien. Der Konflikt schwelt bis heute. Russische Truppen in Transnistrien sichern den Waffenstillstand und gleichzeitig die Unabhängigkeit. Ungeachtet dessen gibt es immer wieder Versuche, das Gebiet an Moldawien anzugliedern. In Transnistrien befinden sich zwei Drittel der Industrieproduktion des gesamten Landes.
Die amtierende pro-europäische Regierung in Chisinau unterzeichnete im Juni ein Handelsabkommen mit der EU, das ab 2013 die Handelsbeziehungen weiter verbessern soll. Die Exporte Moldaus in die EU sind zwischen 2000 und 2011 von 35 auf 50 Prozent gestiegen, während die Ausfuhr nach Russland auf 20 Prozent zurückging. Russland reagierte darauf mit einer Anhebung des Ölpreises. Während Transnistrien russisches Öl fast zum Nulltarif erhält, bezahlt Moldawien teilweise mehr als EU-Staaten.
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